24. Januar 2017, Klaus Otto

Achtsamkeit in Betrieben und Verwaltungen

„Achtsamkeit“ ist in aller Munde. Es ist wie eine Mode, den Begriff zu verwenden und damit zu verbinden, körperlich und seelisch gesund zu bleiben.

Viele meinen, dass Achtsamkeit so etwas ist wie Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung. Achtsamkeit“ ist allerdings mehr als nur ein „Werkzeug“, das wir anwenden und dann glauben, dass es uns besser ginge. Während alle Entspannungstechniken für sich einen Sinn machen, um z.B. besser mit Stress umzugehen, Leistungstiefs zu überwinden oder einfach mal zur Ruhe zu kommen, ist „Achtsamkeit“ viel komplexer.

„Achtsamkeit“ hat das Zeug, unsere Arbeitswelt zu revolutionieren.

Unser Wirtschaftssystem ist ausgelegt auf ein „Höher, Schneller, Weiter“. Wettbewerbsfähigkeit, Gewinnmaximierung, stetiges Wachstum sind Vokabeln, deren umfassenden Bedeutungen unser tägliches Leben existenziell beeinflussen. Wir funktionieren nach festgelegten Abläufen, tun unsere Arbeit in Betrieben und Verwaltungen, die mal mehr, mal weniger ein humanisiertes Arbeitsumfeld anbieten. Wir erleben Führungskräfte, die, wie prominente Wissenschaftler der BWL meinen, schon mal „Schweine“ sein müssen, schließlich gilt es, seiner Verantwortung für den Erhalt des gesamten Unternehmens gerecht zu werden. Da mag es schon vorkommen, dass Entscheidungen zu treffen oder Handlungen vorzunehmen sind, die nach ethischen und juristischen Kriterien grenzwertig sind. Aber das alles geschieht ja nur im Dienste des Unternehmens, zu dessen weiterer positiven Entwicklung, zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit, zur Sicherung von Arbeitsplätzen, als Gewerbesteuerzahler für die Prosperität der jeweiligen Kommune usw. Im Grunde gilt die Devise „Der Zweck heiligt die Mittel“, man sollte nur nicht so dämlich sein, sich erwischen zu lassen. Und wenn man erwischt wird, immer nur das zugeben, was gerade bewiesen wurde. Wir erleben gerade landauf, landab so viele konkrete Beispiele, wo die Wahrheit, in Dienste der Sache, einfach auf den Kopf gestellt wird.

Viele Menschen in Unternehmen (wenn nicht gar in der Gesellschaft insgesamt) haben es satt, immer wieder was vorgemacht zu bekommen, was sich nachher als „Fake“ herausstellt. Was Menschen brauchen, ist Sicherheit, das Gefühl von Geborgenheit, Vertrauen. Die erhalten sie, wenn diejenigen, die an den Führungshebeln der Macht sind, dazu zählen die Führungskräfte  in Betrieben und Verwaltungen, ehrlich, vertrauenswürdig und authentisch sind. Diese sogenannten Eliten prägen das Leitbild der Gesellschaft. Wenn diese nicht „Leuchttürme“ sind, gehen bei den Menschen, die sie glauben, lenken und beherrschen zu können, die Lichter aus.

Und hier kommt nun die „Achtsamkeit“ ins Spiel. Während unser Denken, Fühlen und Handeln zur Aufrechterhaltung des vorher beschriebenen Wirtschaftssystems vom Verstand her geleitet wird, führt uns die „Achtsamkeit“ auf die Ebene unserer Seele. Auch wenn die Idee der Achtsamkeit schon viele tausend Jahre alt ist und vor allem im asiatischen Raum, ganz besonders in Indien und Tibet praktiziert wird, kollidiert sie in unserem Kulturraum mit dem Paradigma der Vernunft, die sich von unserer Ratio ableitet.

Der diametrale Unterschied zwischen „rationalem Denken und Handeln“, was unser Wirtschaftsleben prägt, und der „Achtsamkeit“ liegt darin: Ratio sucht die Antworten außen, die Achtsamkeit innen.

Wenn wir das einmal in Stille auf uns wirken lassen, wird uns die Dimension dieses Unterschiedes bewusst.

Das „Außen“ kennt keine wahren Gefühle, nur Sache, Zweck, Nutzen, Preis, Kosten, Vorteile, Gewinn. Wir funktionieren, um die Existenz zu sichern und powern uns aus, weil uns vielfach der Sinn fehlt, wozu wir das alles tun. Der gesellschaftlich vorgegebene quantitative Ansatz zur Erreichung von Lebensqualität zwingt auch uns mitzuhalten, im Bestreben des „Höher, Schneller, Weiter“. Das „Außen“ wird geprägt vom „Haben“ und versucht über „Konsum“ ein Gefühl der Befriedigung zu erzeugen. Da diese Befriedigung nicht zur Erfüllung führt, entsteht die Dynamik des permanenten Mehrkonsums. Die Ergebnisse und ihre Folgen sind heutzutage in Umwelt, Klima, Staatsschulden, weltweiten Brandherden ablesbar. Individuell gesehen, geraten darüber immer mehr Menschen ins „Burn out“, weil sie einfach nicht mehr mithalten können und wollen.

Das „Innen“ bringt uns wieder ins Gefühl. Wir verbinden uns in der Stille wieder mit uns. Wir nehmen uns mit einem mal wieder ganz wahr, wir werden uns unseres „Selbst“bewusst. „Achtsamkeit“ bedeutet „gewahr sein“, „bewusst sein“ für alles, was wir denken, fühlen und tun. Achtsamkeit ist wie ein Ankommen im Sein des Lebens. So mit uns selbst verbunden, kommen wir unseren „wahren“ Bedürfnissen, Wünschen und Sehnsüchten auf die Spur. Und die, so wird uns sehr schnell klar, liegen ganz woanders als im „Höher, Schneller, Weiter“. Nicht die Sachen stehen im Vordergrund sondern Beziehungen. Als erstes die für uns Menschen wichtigste Beziehung, die zu uns selbst. Achtsamkeit, Selbstliebe und Mitgefühl bringen uns wieder zu uns selbst und wir öffnen damit  den Raum für alles, was uns umgibt. Während die Orientierung auf das „Außen“ auch die Verantwortung dorthin verlagert, fühlen wir bei der Orientierung auf das  „Innen“ Selbstverantwortung und zwar nicht partiell sondern für unser Leben ganz und gar.

Die Umkehr der Sicht vom außen auf innen bleibt nicht ohne Folgen für Betriebe und Verwaltungen. Die jährlich erhobene Gallup Umfrage weist Jahr für Jahr aus, dass ca. 15 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen motiviert sind und bestrebt sind „Ihr“ Unternehmen nach vorne zu bringen, ca. 70 % leisten Dienst nach Vorschrift und ca. 15 % haben innerlich gekündigt.

Was würde eine Umkehr vom Paradigma der Ratio zur Achtsamkeit bedeuten?

Unternehmen kreieren nicht nur Visionen, Leitlinien, Grundsätze, die im Einklang sind mit den Gesetzen der Natur, die moralisch integer sind und Ausdruck geben von einer Verantwortung für das Ganze, nein, sie leben die auch!

Damit allein würde sich das gesellschaftliche Erscheinungsbild ändern. Kein Fake-News, keine Korruption, keine Aggression und Gewalt, keine Willkür, kein Nährboden mehr für Mobbing und seelischen/körperlichen Missbrauch, statt dessen eine Kultur des Vertrauens, des Teamgeistes, des Wir-Gefühls.

Führungskräfte sind Vorbilder. Sie üben in einer Haltung von Menschlichkeit, Nachhaltigkeit und Selbstverantwortung ihre Arbeit aus. In den Betrieben und Verwaltungen wären die Menschen das Wichtigste und zwar per se und nicht, wie in der Kultur des „Außen“, als bloße Mittel zum Zweck.

Was sich zunächst wie  eine Utopie liest, ist gar nicht so weit weg. Wenn sich die Führungen in Betrieben und Verwaltungen nicht wandeln, laufen ihnen die Menschen weg, sie werden krank oder leisten bestenfalls Dienst nach Vorschrift. Das alles führt unweigerlich dazu, dass die Produktivität und Innovationsfähigkeit in den betroffenen Unternehmen sinkt, womit sie nicht mehr wettbewerbsfähig sind und vom Markt verschwinden. Verstärker dazu liefern der demografische Wandel und der bereits eingetretene und sich verstärkende Fachkräftemangel.

Damit wird deutlich, die Zukunft gehört den Betrieben und Verwaltungen, die sich der Achtsamkeit öffnen und sie als Kultur implementieren. Als Benefit eröffnet sich für die dort in Selbstverantwortung handelnden Menschen, Gesundheit, Sinn, Innovationsfreude und Motivation, was den Bestand der Unternehmen von Grund auf sichern hilft.